Historisches Jugendbuch (Hochmittelalter), Thienemann, 2010 (erstmals erschienen bei Dressler 1993). Ab 12 Jahren. Im Buchhandel nur noch als E-Book erhältlich.
Inhalt
Dieser spannende historische Roman spielt zur Zeit des ausgehenden 12. Jahrhunderts. Er erzählt die Geschichte von Konrad, der als fahrender Sänger durch die Lande zieht, bis er eines Tages den Auftrag erhält, die Sagen vom Glanz und Untergang der Nibelungen, die bislang nur mündlich überliefert waren, aufzuschreiben.
Über die Entstehung
Für das erzählende Kindersachbuch „Gabriele Beyerlein erzählt vom Mittelalter“ hatte ich ausführlich zum Thema Mittelalter allgemein und Kindheit im Mittelalter speziell recherchiert. Besonders bewegt hatten mich die Lebenserinnerungen eines französischen Abtes, der von seinen qualvollen Erfahrungen mit dem Lateinunterricht berichtet. Nun lag ich nach einer Operation im Krankenhaus und hatte einen Sandsack auf dem Bauch. Meine einzige Freiheit bestand darin, den Sommerhimmel im Ausschnitt des Krankenhausfensters zu sehen. Da plötzlich wurde mir dieses nüchterne Fenster zum Bogenfenster einer Burg und der erste Satz eines Buches über einen Rittersohn, der sich zu Beginn während des Lateinunterrichts in die Freiheit träumt, entstand in mir: „Sein Stück Freiheit: Ein Fetzen Himmel, wolkenlos gespannt hinter der doppelten Arkade des Bogenfensters.“ Noch im Krankenhaus, noch im Liegen begann ich zu schreiben.
Rezensionen
„Die Autorin schreibt ein leidenschaftliches Antikriegsbuch. Sie schafft Gestalten, die von der bei ihr gewohnten Dichte und Glaubwürdigkeit geprägt sind. Und nicht zuletzt gelingt ihr unauffällig und dadurch umso meisterhafter ein Stimmungsbild des historischen Alltags. Ein Jugendbuch und eine Erzählung für alle Altersstufen – von hohem erzählerischen Rang.“ (Auszüge aus einer Rezension von Eberhard Ockel, Juventa 4/1994. Mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Rezension von Ulrich Karger unter www.buechernachlese.de
Leseproben
Sein Stück Freiheit: ein Fetzen Himmel, wolkenlos gespannt hinter der doppelten Arkade des Bogenfensters. Dieser Himmel: scheinbar zum Greifen nah und doch unerreichbar. Konrad starrte ihn an. Ein Falke glitt vorbei. Sicher war es der Falke, den sich Hartmann, der Bruder, für die Jagd gezähmt hatte.
Flieg weg, Falke, dachte Konrad plötzlich. Du bist frei, verstehst du frei! Die ganze Welt gehört dir und der Himmel dazu, du musst es nur wollen! Kehr nicht zurück auf Hartmanns Hand!
Der Vogel entschwand dem Ausschnitt des Fensters.
Ich ließe mir nie mehr die Kappe über die Augen legen, dachte Konrad, nie mehr!
„Nun?“, fragte der Kaplan ungeduldig. Die Schärfe seiner Stimme zerschnitt den Traum. Konrad erschrak. Er versuchte sich an die Frage zu erinnern, die diesem „Nun?“ vorausgegangen war. Jetzt musste er seine Gedanken in die richtige Bahn zwingen, sonst würde ein Hagel von Beschimpfungen und Schlägen auf ihn niedergehen.
Ich würde ermahnt werden – das war der Ausdruck, nach dessen Übersetzung der Kaplan gefragt hatte.
Er straffte sich: „Monerer!“
Ein Hund bellte. Die Geräusche draußen veränderten sich. Was konnte das bedeuten?
„Weiter!“ Der Kaplan klopfte mit seinem Stock auf die Pultkante.
Konrad leierte herunter: „Monereris, moneretur …“
Die Planken der Zugbrücke dröhnten. Kehrte Hartmann von der Jagd zurück?
„Moneremur, moneremini ..“, leierte Konrad weiter, aber seine Aufmerksamkeit galt weiter dem Hufschlag auf der Zugbrücke. Er hörte nur ein Pferd, Hartmann aber war mit seinem Knappen und zwei Knechten zur Jagd geritten.
„Besuch! Besuch!“, rief im Hof aufgeregt die kleine Elisabeth.
Mühsam unterdrückte Konrad den Wunsch, aufzuspringen und zum Fenster zu laufen. Er hörte Schritte auf der Treppe. Er wusste, jetzt eilte Agnes, Hartmanns junge Frau, in den Hof, um den Gast zu begrüßen.
Aber er selbst musste Latein lernen und wusste nicht, wer da angekommen war.
Qualvoll langsam verrann in dumpfer Eintönigkeit die Zeit, hin und wieder unterbrochen von spitzen Stichen jäher Angst, wenn sich eine Form nicht sofort bilden wollte. Bei jeder Frage schlug der Kaplan mit dem Stock auf das Pult. Solange er nur auf das Pult schlug …
[Abends wird Konrad von seinem Bruder dem Gast vorgestellt, einem Minnesänger, wie Konrad zunächst nicht weiß.]
Der Fremde war ein älterer Mann, Grau mischte sich in seine schulterlangen Haare, Falten hatten sich in seine hohe Stirn gegraben. Auf unerklärliche Art wirkte er bescheiden und selbstbewusst zugleich. Irgend etwas zog Konrad zu ihm hin, ließ ihn wünschen, ihn näher kennen zu lernen.
„Das ist mein Bruder Konrad“, sagte Hartmann zu dem Gast. „Kaum zu glauben, was? Na ja, wir sind nur Halbbrüder, trotzdem frage ich mich oft, wie es möglich ist, dass wir den gleichen Vater haben! So ein schmächtiges, schwaches Bürschchen! Ich lasse ihn zum Kirchendienst ausbilden. Schreiber, Diakon, Priester, was weiß ich, irgendwie wird man für ihn als Kleriker schon eine Verwendung finden, zum Ritter taugt er jedenfalls nicht. Er kann ja nicht einmal anständig reiten!“ Hartmann lachte.
Konrad trieb es das Blut in den Kopf. Schon oft hatte er Hartmann so reden hören, aber jetzt, vor diesem Fremden! Er zerknüllte den Stoff seines Rockes.
Der Fremde stimmte nicht in Hartmanns Lachen ein. Nachdenklich sah er Konrad an. Konrad erwiderte nur kurz den Blick, schaute schnell wieder weg.
„Ist es denn dein Wunsch, Kleriker zu werden?“, fragte der Fremde ihn leise.
Diese Frage: Noch nie hatte sie ihm jemand gestellt – nicht einmal er sich selbst. Aber nun, einmal ausgesprochen, war sie da, und er wusste, auch die Antwort war da. Aber er wagte sie nicht zu geben.
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