Die Göttin im Stein. Prähistorischer Roman. Erstmals 1999 im Weitbrecht Verlag erschienen. Als E-Book 2015 in der Edition Gegenwind erschienen.

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Inhalt

Norddeutschland im 3. Jahrtausend v. Chr.: Im Grab ihrer Sippe sucht Haibe den Beistand der Ahnen. Zu spät erkennt sie die drohende Gefahr – den Überfall der Söhne des Himmels auf Haibes Dorf.

Die Wolfskrieger der Söhne des Himmels verbreiten Angst und Schrecken. Haibes Familie wird fast völlig ausgelöscht, ihre Tochter Naki aber entführt. Haibe macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter, während diese in den Fängen von Lykos, dem Anführer der Wolfskrieger, ein Martyrium erlebt. Doch Nakis Kraft ist ungebrochen und beginnt Lykos‘ Ehefrau Moria in ihren Bann zu ziehen …

Die Göttin im Stein erzählt vom Untergang einer friedliebenden matriarchalischen Gesellschaft durch aggressive Eroberer, von den Wurzeln von Gewalt, Herrschaft und Unterdrückung – und zugleich von der Kraft der Frauen.

Über die Entstehung

Woher rührt in Europa die Unterdrückung der Frauen? Dass sie in fast allen Gegenden Europas über die letzten Jahrtausende eine Tatsache war, lässt sich an unzähligen Beispielen belegen. Und doch: Frauen waren nicht nur unterdrückt oder benachteiligt, es gab immer wieder auch starke, erfolg- und einflussreiche Frauen. Wie passt das zusammen? Woher rührt die Unterdrückung der Frauen? Gab es einmal ein „Matriarchat“ – und wenn ja, weshalb ging es unter?
Fragen wie diese, die mich über viele Jahre begleitet haben, waren der Ausgangspunkt zu dem Roman „Die Göttin im Stein“.
Vor dem Schreiben stand eine umfangreiche Recherche in den verschiedensten Disziplinen: von Archäologie, Indogermanistik und Religionsgeschichte über Frauenforschung bis hin zu Soziologie, Psychologie und Psychiatrie. Doch die Geschichte selbst entstand jenseits aller Recherche: Sie kam zu mir.

Rezensionen

„Ein äußerst fesselnder und anrührender historischer Roman.“ (Rhein-Neckar-Kind Juli/August 2000)

„Eine packende Story um eine Power-Frau.“ Familie&Co 9/99

„Einmal mehr ist Gabriele Beyerlein ihrem Ruf als Autorin mit einem „Gespür für das Aktuelle im Alten“ gerecht geworden.“ (Nürtinger Zeitung 24.11.1999)

Giorgio Tzimurtas urteilt, Gabriele Beyerlein seien in diesem Roman „einfühlsame Szenen voller spannender Psychologie, ergreifende Passagen über grausame Riten und eine dem mythischen Bewusstsein der Personen erstaunlich angepasste Sprache“ gelungen. (Oldenburgische Volkszeitung, 4.5.2000)

„Dies ist ein Roman, nach dem Frauen sich sehnen, in dem sie versinken und der doch viel mehr bietet, als reine Unterhaltung und Entspannung. Hintergrund der Handlung sind die uralten Lebensgewohnheiten und kulturellen Bräuche der Jungsteinzeit, inhaltlich ist das Thema hochaktuell, widmet sich einer der großen ungelösten Menschheitsfragen: Wie können ursprünglich friedliche Menschen einem Teufelskreis aus brutaler Gewalt, Leid und Vernichtung entgehen, ohne ihrerseits gewalttätig, deformiert oder ausgelöscht zu werden? […] Ein lebendiges, mit vielen Gefühlen unterlegtes Bild jener alten Zeit. Die Dramatik des Geschehens reißt uns mit.“ (Juliane Brumberg in „ab 40“, 3/2000, zitiert mit freundlicher Genehmigung der Autorin)

„Eine Geschichte, die viel Aktualität enthält und dazu einlädt, Parallelen zu ziehen. […] Wie in allen bisherigen Romanen der Autorin sind auch in diesem Roman die Figuren voller Leben. Die bewundernswerte Balance gelingt der Autorin: die Figuren, allen voran Moria und Lykos, verlieren nicht ihre Glaubwürdigkeit durch die der Handlung innewohnende Dramatik und Dynamik, im Gegenteil: der Leser gewinnt den Eindruck, dass sie sich selber treu bleiben, indem sie neue Wege gehen oder zulassen. Das Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite.“ (Eberhard Ockel, Oldenburgische Volkszeitung vom 22.10.1999, zitiert mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Leseprobe

Sie sprachen kein Wort. Nur die Schritte der beiden hörte Haibe hinter sich, schwer und bedächtig: Männerschritte. Haibe blieb stehen. Sofort stockten auch die Schritte.

Über der Lichtung lagen noch Schatten, doch hinter dem Wald färbte sich der Himmel. Und dann tauchte die aufgehende Sonne den flachen Höhenzug in Licht und ließ den Umriss des alten Grabes hervortreten.

Mitte des Mysteriums — errichtet für die Ewigkeit. Plötzliches Schaudern ließ Haibe erzittern.

Eine schwielige Hand legte sich auf ihre Schulter. Haibe erkannte diese Hand, ohne sie anzusehen. Ritgo, ihr Bruder.

Haibe ging weiter und stieg eine Bodenwelle hinauf. Wieder knirschte der Sand. Bei jedem Schritt sank sie ein, rutschte ein Stück zurück: als halte die Erde selbst sie von ihrem Vorhaben ab. Der Pfad führte auf die lange Front der Großsteine zu und endete in ihrer Mitte am Eingang zum Grab.

Dann standen sie vor dem kurzen Tunnel: zwei Findlinge rechts, zwei Findlinge links, der Zwischenraum fugenlos vermauert. Im Dunkel die schwere Steinplatte, die das Grab verschloss.

Haibe kniete nieder, stellte die brennende Öllampe und den Korb ab. Mit den Händen fuhr sie über das Pflaster, neigte sich vor, bis die Stirn den Boden berührte, und verharrte so, spürte die Kälte des Steines in ihren Kopf dringen: magische Kraft.

Große Göttin, gewähre mir Zutritt zu Deinem geheiligten Leib.

Mit gebeugtem Rücken zwängte sich Taku an Haibe vorbei in den Gang, eine Eibenholzstange in der Hand. Ritgo blieb hinter Haibe im Freien. Sie spürte seine Gegenwart wie die der Steine. Taku murmelte den Segensspruch und setzte die Stange an. Die Steinplatte bewegte sich nicht.

Haibe erhob sich auf die Knie und nahm getrocknete Misteln und Eibennadeln aus dem Korb. Dann hielt sie die geschwungene Flasche mit dem zierlichen Kragen und dem weit ausladenden Bauch in der Hand und fuhr die Gestalt des Gefäßes nach in Erinnerung an den gesegneten Leib der Göttin, ehe sie den Verschluss herauszog und das geweihte Öl über Blättern und Nadeln versprengte. Sie hielt die Lampe daran. Hoch schoss die Flamme auf, brannte nieder, verglomm.

Mit der heißen Asche malte Haibe Zeichen auf den Steinboden, rief mit ihnen die Göttin an in jeder ihrer Gestalten.

Ich bete Dich an, die Du Eins bist in Drei und Drei in Eins. Du allmächtige Lebensspenderin, lass mich zu Dir kommen. Mutter Erde, nimm mich auf in Deinem feuchten, schwarzen Schoß. Göttin des Todes, behalte mich nicht.

Mit unwilligem Knirschen rührte sich die Steinplatte und ließ sich langsam verschieben. Taku keuchte. Trotz der Grabeskälte glänzte Schweiß auf seinem braungebrannten Rücken.

Der Stein war zur Seite gerückt. Ein schwarzer Spalt gähnte: der Eingang in die andere Welt.

Haibe stand auf, trat vor das Grab. Sie bebte.

„Noch kannst du zurück“, meinte Ritgo.

Sie schüttelte den Kopf. Ein letzter Blick auf die wenigen Häuser und Speicher des Dorfes und auf die dürre Insel im endlosen Wald: Emmer, Gerste und Einkorn standen schütter und niedrig, die Blätter mit den vertrockneten Spitzen zum unerbittlichen Himmel gestreckt. Der Ackerboden war hart und gerissen.

Haibe straffte die Schultern. „Bring am vierten Tag das Opfer! Du und ich — wir tun, was getan werden muss.“

Ritgo nahm ihren Kopf zwischen seine großen Hände, beugte sich zu ihr herab und berührte mit den Lippen ihre Stirn. „Mögest du gütige Aufnahme bei der Göttin finden, Rat und Hilfe bei den Müttern und Ahnen — und Schutz und Kraft für deinen gefahrvollen Weg!“ Sie nickte kaum merklich.

Taku, ihr Mann, kam gebückt ins Freie und streckte sich. „Am vierten Tag bei Sonnenuntergang?“, fragte er.

„Am vierten Tag bei Sonnenuntergang“, bestätigte Haibe.

Sie nahm die Lampe auf, holte die Trommel aus dem Korb, beugte den Kopf, tat einen Schritt in den niedrigen Tunnel, dann den nächsten. Am Schwellenstein verharrte sie. Finsternis vor ihr. Das kleine Licht in ihrer Hand zitterte. Tief schöpfte sie Atem. Kalte, modrige Luft — Grabesluft. Sie zog sich in sich zusammen, stieg über den Stein, zwängte sich durch die Öffnung und kroch auf den Knien ins Grab.

Große Mutter, dies ist der Schoß Deines Leibes, aus dem alles geboren ist, in den alles zurückkehrt, aus dem alles wiedergeboren wird zu neuem Leben.

Noch fiel Tageslicht in den höhlenartigen Raum. Langsam traten die Umrisse hervor: die glatten Flächen der gewaltig lastenden Deckensteine, die dicht an dicht stehenden Trägersteine und die Muster des kleinen Gerölls, das die Zwischenräume füllte. Die Enden des langgezogenen Grabraums verloren sich im tiefen Dunkel.

Zaudernd nur tastete sich der Blick die geschliffene Steinwand hinab zum Boden, zuckte schreckhaft zurück, floh — und kehrte doch wieder. Totenschädel starrten, schwarze Augenhöhlen in bleichem Gehäuse, grässliches Grinsen gebleckter Zähne, Knochen in wirrem Durcheinander, getürmt zu schauerlichen Gebilden, Schulterblatt über Becken, Arm über Bein, zierliche Knöchelchen einer Kinderhand wie hingeworfene Stäbchen eines Spieles. Zwischen den fahlen Knochen weiß verziertes Geschirr, trichterförmige Becher, kunstvolle Flaschen, Schalen und Tassen und dort …

Zwanghaft rutschte Haibe ein Stück vorwärts. Sie stieß an eine Elle, sofort zerrieselte diese zu Splittern und Staub, Haibe beachtete es nicht, hielt die Lampe tiefer. Ihr Atem ging schneller, als der Bernstein das Licht in honigfarbenem Schimmern einfing. Die Perlen waren noch aufgereiht auf der Schnur, hinten die kleinen Perlen, vorne die größeren, in der Mitte der lange Anhänger, in den eine Fliege gebannt war.

„Mutter“, flüsterte Haibe. Plötzlich war das Bild da, ungerufen drängte es sich auf:

Die Mutter im Festgewand, fein gewebter Stoff aus gebleichter Wolle, an Ausschnitt und Saum in den Farben von Kupfer und Erde gemustert, glänzende kleine Kupferringe in den aufgesteckten Zöpfen, die Bernsteinkette um den Hals.

Die Mutter bewirtete die Sippe der Koa, den Korb mit den kleinen Honigkuchen in die Hüfte gestützt, die Bernsteinkette glühte im Sonnenlicht, Kinder umringten die Mutter, jedem gab sie einen Kuchen, Songo drängte sich schon wieder vor, versteckte ihren angebissenen Kuchen hinter dem Rücken, die Mutter strich Songo über die Wange und gab ihr lachend einen zweiten.

Sie selbst — wie alt war sie damals, ein kleines Mädchen noch — hielt es nicht länger, sie zwängte sich durch die Kinder, den jüngeren Aktoll an der Hand: „Mutter, Mutter, uns auch!“

 Das Lachen verschwand aus dem Gesicht der Mutter, ein Heben der Augenbraue, ein zurechtweisender Blick: „Du weißt, dass ihr zu warten habt, bis die Gäste bewirtet sind!“

Ihr war, als würden alle sie ansehn.

Ein Geräusch brachte Haibe in die Gegenwart zurück. Sie blickte zum Eingang und sah den Umriss ihres Mannes. „Bist du bereit?“, fragte Taku.

„Ja, ich bin bereit!“ Schon während sie sprach, zweifelte sie an ihren Worten.

Ein kurzes Zögern, dann griff sie nach der Bernsteinkette, bemühte sich, keinen der Knochen zu berühren, zog den Schmuck unter dem Gerippe hervor und legte ihn sich um den Hals: Mutter, leih mir deine Kette, mit ihr wird es leichter sein, Verbindung zu finden zu dir und den anderen.

Sie stellte die kleine Lampe ab, die Tontrommel daneben. Sie hörte Ächzen, schweres Schleifen. Der massige Stein wurde vor den Ausgang geschoben und fiel mit dumpfem Poltern in sein Bett.

Haibe war allein im Grab, eingeschlossen. Nun musste sie bei den Toten bleiben, hungern und dürsten, und niemand würde ihr beistehen, bis Taku am Abend des vierten Tages das Grab wieder öffnete.

(Anfang Kapitel 1, „Die Göttin im Stein“)

Naki wälzte sich herum. Erst hatte sie nicht einschlafen können, und nun wachte sie dauernd auf! Noch immer war es dunkel. Aber irgendetwas hatte sich verändert. Etwas war da.

Naki lauschte. Da war nichts. Nur die ruhigen Atemzüge der Schlafenden und der Wind im Rindendach. Noch immer kein Regen. Sie würde wieder den ganzen Tag Wasser tragen müssen. Und dann auch noch Brot backen! Sie sollte lieber schlafen.

Doch alles Zureden half nicht. Eine unerklärliche Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Es hielt sie nicht mehr im Bett. Vorsichtig schob sie den kleinen Rablu beiseite, der sich dicht an sie gekuschelt hatte, richtete sich auf, kletterte über Uori und stieg vom Lager.

Sie tastete sich zur Tür, öffnete sie leise, trat hinaus. Die Luft war frisch. Das erste schwache Grau kündete das Ende der Nacht an.

Kaum im Freien, fühlte Naki sich ruhiger. Sie lehnte sich an einen der beiden Pfosten, die das vorgezogene Hausdach trugen, und sah nach Osten, beobachtete das Verblassen der Sterne. Zeichneten sich nicht Schleier am Himmel ab, die ersten Vorboten aufziehender Wolken?

Gespannt wartete sie, ob Morgenrot von baldigem Regen künden würde.

Und nichts, kein Vorgefühl warnte sie mehr.

Eine Männerhand presste sich hart auf ihren Mund. Ein Männerarm umschlang sie von hinten, drückte sie an den Pfosten.

Und die Welt, die sie bis zu diesem Augenblick geborgen hatte, hörte auf zu bestehen.

(Aus Kapitel 3, „Die Göttin im Stein“)