Phantastisches Kinderbuch. (erstmals erschienen bei Thienemann 2000). Vollständige Fassung in der Edition Gegenwind, BoD Norderstedt 2017. Gekürzte Fassung für den Schulunterricht: Ernst Klett Verlag, mit Unterrichtserarbeitung und Materialien. Ab 10 Jahren

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Inhalt

Eine abenteuerliche Reise in eine versunkene Welt. Kai ist allein zu Hause. Die Gelegenheit, auf dem Computer seines großen Bruders zu spielen! „Der Schatz von Atlantis“ hört sich gut an … Doch ehe Kai merkt, was passiert, steht er mitten auf dem Marktplatz von Atlantis, in einer fremden Welt voller Geheimnisse. Und von dort kommt er nicht eher weg, bis er „seine Aufgabe“ erfüllt hat. Worum es sich dabei handelt, muss er allerdings selbst herausfinden …

Über die Entstehung

Die auslösende Idee zu meinem ersten Fantasy-Buch „Der Schatz von Atlantis“ hat damit zu tun, dass meine Tochter eine Katzenallergie bekam und wir deshalb unsere (schwarze) Katze weggeben mussten. Im Grunde habe ich dieses Buch geschrieben, um mich und meine Familie zu trösten. Die Sage von Atlantis hat mich schon lange fasziniert, ich hatte mich mit der Frage der Existenz von Atlantis bereits vor längerer Zeit intensiv beschäftigt. So „passierte“ es beinahe von selbst, dass dieses Buch entstand, ohne Planung, aus einer spontanen Stimmung heraus.

Leseproben

[Kai, krank und voller Traurigkeit, weil seine Eltern seinen Kater Felix wegen der Katzenallergie seiner Schwester in ein Tierheim gegeben haben, macht am Computer seines Bruders das Spiel „Der Schatz von Atlantis“. Dabei soll man herausfinden, wo in welchem Meer die sagenhafte Königsinsel von Atlantis versunken ist und dort nach einem Schatz suchen.]

Auf dem Bildschirm lande ich in Kairo. Jetzt kann ich mir aussuchen, ob ich ins Ägyptische Museum oder zu den Pyramiden von Giseh will. Ich klicke die Pyramiden an und schon fährt mich ein Taxi nach Giseh. Bei der großen Sphinx-Statue vor den Pyramiden hält es. Am Kopf ist sie ein Mensch, aber sonst ist sie ein Löwe oder eine Katze.
Ich gehe mit der Maus im Spiel weiter. Ich bin jetzt in einem engen Gang, der den Berg hinaufführt. Rechts und links von mir erheben sich hohe Mauern aus riesigen Steinen. Was mache ich, wenn plötzlich ein Gangster auftaucht? Ich bin doch bestimmt nicht als Einziger hinter dem Schatz her. Und ich habe gar keine Waffe dabei. Vorsichtshalber übe ich kurz mit den Tasten der linken Hand das Boxen und Treten und Springen, laufe dann bergan und dreh mich immer wieder mal schnell um.
An einer Stelle ist ein Gitter zwischen den Steinen. Finde ich da eine Waffe? Ich gehe näher an das Gitter heran. Dahinter ist es schwarz. Weiter kann ich nichts erkennen. Vielleicht ist es ein sehr kleiner, dunkler Käfig, in den nie ein Sonnenstrahl fällt.
Mir steckt ein Kloß im Hals. Ich versuche ihn wegzuschlucken, aber es geht nicht, es brennt nur noch mehr. Mir ist furchtbar schwindlig. Etwas bewegt sich in meinem Kopf, nein, nicht in meinem Kopf – in dem Käfig. Und dann sehe ich hinter dem Gitter hin und her schwankend einen kleinen weißen Fleck.
Schweiß steht mir auf der Stirn, kalter Schweiß. Jetzt fange ich auch noch an zu zittern. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Ich glaube, in dem Käfig ist eine Katze, eine schwarze Katze mit einem weißem Fleck an der Kehle.
„Felix“, sage ich und rüttle an dem Gitter. Ich ziehe und zerre, aber das Gitter gibt nicht nach. Da sehe ich, dass es nur mit einem Riegel verschlossen ist. Ich schiebe den Riegel zurück und hole die Katze heraus und drücke mein Gesicht in ihr Fell.
Es ist doch nicht Felix. Felix ist ein bisschen kleiner und hat einen runderen Kopf, und Felix kann nicht reden. Aber diese Katze hier, die kann es.
„Ich danke dir, dass du mich befreit hast“, sagt sie. „In dem Käfig konnte ich nicht einmal meinen Schwanz fangen oder nach einem Sonnenstrahl springen.“
Eben war ich noch in Thorstens Zimmer am Computer, und nun stehe ich plötzlich in Ägypten in dem Gang, der zur Pyramide führt, und halte ein Katze im Arm, die so ähnlich aussieht wie Felix, und diese Katze kann sprechen. Jetzt spricht sie schon wieder. Sie sagt: „Gestatten, mein Name ist Bastet.“
„Bastet?“ frage ich. „Wie die Göttin?“
„Nicht wie die Göttin“, erwidert sie sehr würdevoll und betont dabei das „wie“ ganz besonders. „Ich bin es selbst. Ich bin Bastet, die Göttin.“
Gut, wenn sie eine Göttin ist, dann wundert es mich auch nicht, dass sie sprechen kann. Nur wie ich hierher gekommen bin, das wundert mich schon.
Bastet fährt fort: „Da du mich aus dem unerfreulichen Käfig befreit hast, gebe ich dir drei Wünsche frei.“
Drei Wünsche frei, das gibt es doch nur im Märchen. Dass mir das einmal passiert, das hätte ich nie gedacht.
„Ich wünsche mir, dass du erst mal bei mir bleibst“, krächze ich und streichle ihr Fell. Es ist seidig und weich.
Bastet schnurrt. „Schon erfüllt“, erklärt sie und fragt: „Und was weiter? Was willst du hier?“
„Ich will nach Atlantis“, antworte ich.
Da bebt plötzlich der Boden unter mir, eine unsichtbare Kraft erfasst mich, mir ist schwindlig, ich mache die Augen zu, ich werde hochgehoben, ich fliege und fliege und fliege und traue mir die Augen nicht mehr aufzumachen, so dreht sich alles, in meinen Ohren braust es, und dann werde ich ziemlich unsanft wieder abgesetzt. Als ich sie wieder öffne, die Augen, sehe ich sofort: Ich bin dort. In Atlantis.
Nein, nicht etwa unter Wasser bei den Ruinen des versunkenen Atlantis, sondern im echten Atlantis. Mitten auf dem großen Platz auf dieser Königsinsel in der Hafenstadt. Und Atlantis ist kein bisschen kaputt, und untergegangen ist es schon gleich gar nicht. Es sieht alles aus wie in dem Computerspiel: die vornehmen Häuser aus weißem Stein mit Säulen und Vordächern, die Tische, auf denen Händler Gemüse und Obst und alle möglichen anderen Sachen ausgebreitet haben, die vielen Menschen und die Tiere …
So etwas gibt es doch gar nicht, außer im Traum vielleicht.
Männer, die nichts anhaben außer einem weißen Lappen um die Hüften, gehen an mir vorbei und weichen einem Ochsenkarren aus, der über den Platz rumpelt, zwei Frauen in ziemlich durchsichtigen Kleidern bleiben stehen und schauen mich an, als hätten sie noch nie einen Jungen gesehen. Sie reden über mich, das merke ich, aber ich verstehe kein Wort von ihrer Sprache, und da drüben stecken zwei Mädchen die Köpfe zusammen und gucken immer wieder zu mir und schubsen sich mit den Ellbogen und kichern. Ich komme mir blöd vor. Jemand sagt etwas zu mir, ich merke, dass es eine Frage ist, aber ich kann nur mit den Schultern zucken, was soll man sonst machen, wenn man nichts kapiert. Wenn ich wenigstens die Sprache hier könnte!
Auf einmal verstehe ich, was gesprochen wird. Zwei Männer unterhalten sich über Pferde, eine Frau schimpft, dass der Sklave, den ihr Mann gekauft hat, faul ist, ein Händler schreit über den Platz: „Kostbarer Weihrauch! Duftende Öle! Heilende Essenzen! Frisch eingetroffen aus den Märkten des Orients!“ Die Frauen, die mich so blöd anschauen, reden über die Sachen, die ich anhabe, „blaue Beinröhrlinge“ nennen sie meine Jeans und schütteln den Kopf.
Bastet streicht mir um die Beine wie eine gewöhnliche Katze. Aber dass sie das nicht ist, das hat sie jetzt ja wohl bewiesen. Sie ist eine Göttin, sie hat mich hierher gebracht, und sie soll mich bitte schön wieder zurückbringen. Ich nehme sie auf den Arm. „Hör mal, Bastet“, sage ich, „das mit Atlantis, das war gar nicht mein richtiger Wunsch. Ich habe doch nur ein Computerspiel gemacht, und ich habe auch gar nicht das richtige Atlantis gesucht, so lange vor unserer Zeit, sondern das versunkene. Kannst du das bitte alles rückgängig machen?“
Bastet gibt keine Antwort, schaut mich nur unbeweglich an.
„Ich habe noch mindestens einen Wunsch frei!“, erinnere ich sie. „Außerdem falle ich hier in meinen blauen Beinröhrlingen ziemlich auf. Lass uns verschwinden!“
„Ich habe dir bereits drei Wünsche erfüllt, dürfte ich dich höflich daran erinnern?“, sagt Bastet. Ihre Stimme klingt auf einmal richtig hochmütig. „Oder sollte dir entgangen sein, dass du nun der Sprache der Atlanter mächtig bist? Damit hat es ein Ende mit der Wünscherei. Ihr Menschen seid doch immer gleich: maßlos und völlig unüberlegt in euren Wünschen. Nun ist es, wie es ist, so wahr ich Bastet bin, die Katzengestaltige!“
Mit offenem Mund stehe ich da. Ich kann’s nicht glauben, ich kann’s einfach nicht. „Du meinst, ich muss hier bleiben, in Atlantis?“ frage ich.
„Ob und wie lange du hier bleiben musst, liegt ganz bei dir“, antwortet Bastet. „Du hast hier eine Aufgabe zu erfüllen. Erst wenn du die erfüllt hast, steht dir der Weg zurück wieder frei.“
„Was denn für eine Aufgabe“, frage ich, und in dem Augenblick fällt mir etwas ein, und mir wird heiß und kalt zugleich. „Was ist, wenn Atlantis untergeht und ich hier bin? Wann versinkt Atlantis im Meer? Vielleicht sogar heute?!“
Bastet schließt die Augen zu schmalen Schlitzen. „Der Ratschluss des Gottes der Götter entzieht sich nicht umsonst deiner Kenntnis. Kümmere du dich um deine Aufgabe, dann wird sich alles weitere ergeben.“

Seite 26 – 32 (Der Schatz von Atlantis, Thienemann 2000)